Archiv der Kategorie: Sozialstaat und soziale Sicherung

Der böse Wolf und die Rentner: ein Kommentar von Katharina Obermeier

Folgenreiche Forderung: Die Rente mit 70

Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, fordert die Rente mit 70. Die Thematik ist komplex, Wolfs Idee ein zweischneidiges Schwert. Am Ende trifft es die Alten. Und die Ampel stellt sich quer.

Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre wurde erneut von Ökonomen und Wirtschaftsexperten gefordert. Darunter auch Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. „Stufenweise werden wir auf das Renteneintrittsalter von 70 Jahren hochgehen müssen – auch weil das Lebensalter immer weiter steigt.“ Mit diesem Befund ergriff er beim Interview mit der Funke Mediengruppe Partei dafür. Im Wirtschaftsbereich wird ihm Rückhalt geboten, doch aus der Politik kommt Gegenwind. Dietmar Bartsch von der Partei Die Linke betitelt das Vorhaben mit ,,unsozialer Bullshit“ und auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will „das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöhen.“ Daran würde sich nichts ändern. Auf Zuspruch aus der Politik kann Wolf derzeit also nicht hoffen.

Einerseits macht es Sinn, wenn die Menschen künftig fünf Jahre länger arbeiten, denn wegen der demographischen Entwicklung fällt irgendwann alles auf die junge Generation zurück. Andererseits würde man mit der Umsetzung der Rente ab 70 aus diversen Gründen höchst unsozial handeln.

Eine schrittweise Erhöhung des Renteneitrittsalters von 65 auf 67 Jahre macht schon Sinn, allein wegen der Überalterung unserer Gesellschaft oder dem Fachkräftemangel. Schließlich soll nicht alles an der jungen Bevölkerung hängenbleiben. Die Tatsache, dass in Staaten wie Estland, Dänemark, Italien oder den Niederlanden die Menschen künftig mit etwa 70 Jahren erst in Rente gehen können, heißt nicht, dass Deutschland ihrem Beispiel folgen muss. Die sozialen Ungerechtigkeiten und Belastungen, die mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit einhergehen, sind einfach zu relevant für die Gesellschaft, um sie zu ignorieren. Doch genau das tun Ökonomen wie Stefan Wolf, indem sie diese in Kauf nehmen. Ihr Verhalten ist höchst unsozial und respektlos. Denkt man an das Märchen, so wäre Wolf der böse Wolf und die RentnerInnen die sieben Geißlein, nämlich betrogen und hinters Licht geführt.

Er hat nicht ganz Unrecht, wenn er sagt, dass dadurch die Rentenkasse entlastet werden würde. Mit der steigenden Lebenserwartung wird nämlich zusätzlich die Sozialkasse stark belastet. Denn würde man weiterhin mit 65 in Rente gehen, so würde man länger Rente beziehen und das bedeutet wiederum enorme Kosten für Staat und Arbeitnehmer. Statt unsinnige Überlegungen anzustellen, die die Bürger in der Praxis nur belasten würden, könnte man auch schlaue Gedanken fassen. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK macht es vor: Sie will ,,die gesetzliche Rentenversicherung stärken, das bedeutet: Perspektivisch müssen alle dort einzahlen – neben Angestellten auch Beamte, Selbständige und Politiker.“

„Flexirente“ lautet das Sichtwort. Sie ist die perfekte Option für jedermann und bietet die Möglichkeit, auch nach der Rente noch ein paar Jährchen zu ackern. Warum sollte man also Menschen dazu zwingen, fünf Jahre länger zu arbeiten, wenn sie es vielleicht gar nicht wollen. Jeder sollte selbst entscheiden können, ob ihm Arbeiten im fortgeschrittenen Alter noch liegt. Wer Spaß daran hat, kann es gerne probieren, aber wer sich auf gemütlichere Tage freut, zieht ganz klar den Kürzeren.

Noch dazu sinkt das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente drastisch. Damit ist der Prozentsatz gemeint, den man als Rentner monatlich vom Staat erhält – ohne Steuerabzug. Je höher das Niveau, umso weniger Steuern werden vom Nettomonatseinkommen abgezogen. Momentan liegt es bei rund 48 Prozent. Es wird aber voraussichtlich um einiges sinken, wenn man sich an Modellrechnungen hält. Die Bundesregierung bereitet momentan zwar das Rentenpaket II vor, um weiterhin ein stabiles Rentenniveau zu garantieren. Doch wer weiß schon, wie es in fünf Jahren darum steht? Sollen die Menschen lieber jetzt noch mit 65 in Rente gehen und das hohe Niveau so lange wie möglich ausnutzen.

Außerdem würde eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit den Anteil der Menschen in Altersarmut erhöhen. Viele Menschen gehen nämlich aufgrund gesundheitlicher Probleme frühzeitig in Rente und nehmen dafür jährlich Abschläge in Höhe von 3,6 Prozent bis zu ihrem Tod hin. Sie haben keine Wahl und werden dafür auch noch gerügt. Also würde eine Rentenkürzung automatisch mit einhergehen.

Viele Berufe sind zu anstrengend, um sie fünf Jahre länger auszuüben. Wer sein gesamtes Leben lang als Dachdecker, Krankenschwester, Polizist oder im Straßenbau tätig war, weiß, wovon die Rede ist. Der Arbeitsalltag ist fordernd und strapaziös. Wer würde also nicht um der Rentenkasse Willen mit Rollator zum Dachdecken anrücken? Ohnehin ausgelaugte Menschen sollten nicht unnötig strapaziert werden, bloß weil die Ökonomen meinen, sie hätten eine Lösung für den Fachkräftemangel gefunden.

In Zeiten des Fachkräftemangels sollte man nicht so am System basteln, dass letztendlich ArbeitnehmerInnen zusätzliche Belastung erfahren, sondern sinnvolle Konzepte entwickeln. Auch wenn Wolf meint, es wäre „richtig und wichtig“, das Renteneintrittsalter anzuheben, gibt es dennoch Alternativen, um auszuweichen.

Die Idee des Professors Axel Börsch-Supan „für jedes Jahr länger Leben vier Monate später in Rente [zu] gehen“, ist schon einmal ein Anfang. Und dabei meint man ein kluger Kopf wie Wolf käme auf so etwas!

Quellen:

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rj a&uact=8&ved=2ahUKEwjytaDcg4v8AhWGP-wKHVWsABMQFnoECDIQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.handelsblatt.com%2Fpolitik%2Fdeutschland%2Frente-wirtschaftsexperten-unterstuetzen-anhebung-des-
renteneintrittsalters%2F28566800.html&usg=AOvVaw2ZTrIQWhMpcmsuoNrZ IoSN

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rj a&uact=8&ved=2ahUKEwjytaDcg4v8AhWGP-wKHVWsABMQFnoECDMQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.focus.de%2Ffina nzen%2Faltersvorsorge%2Frente%2Fanhebung-der-regelaltersgrenze-rente-mit-70-so-sehen-experten-und-die-bundesregierung-diesen-
vorschlag_id_102191800.html&usg=AOvVaw1CjCEZjT1cu4PHd38E8iWW

https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rj a&uact=8&ved=2ahUKEwjytaDcg4v8AhWGP-wKHVWsABMQFnoECDAQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.tagesschau.de%2Finland%2Finnenpolitik%2Fheil-renteneintrittsalter-
101.html&usg=AOvVaw16EvADbZCtmFUfDdmjXibs

Politik aktuell: Streikwelle und Ausnahmezustand in Großbritannien

Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen: Das fordern derzeit Hunderttausende von Krankenschwestern und -pflegern im britischen Gesundheitswesen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gehen die Pflegekräfte auf die Straße und legen landesweit die Arbeit nieder. Es ist ihr größter Streik, seit es den staatlichen Gesundheitsdienst gibt.

Symbolbild

Die Hilfslosigkeit und Verzweiflung des Pflegepersonals aufgrund der Löhne und der Arbeitsbedingungen ist in ganz England, Wales und Nordirland spürbar und zu sehen. Hunderttausende gehen aktuell für eine bessere Zukunft der Pflegekräfte auf die Straße. Derzeit sind rund 50.000 Stellen in der Krankenpflege in Großbritannien unbesetzt. Folglich wird 19% mehr Lohn gefordert, diese Lohnerhöhung liegt deutlich über der Inflationsrate. Laut der Regierung ist dies nicht finanzierbar und bietet deshalb vier bis fünf Prozent. Um die Folgen des Streikes zu mindern, will die britische Regierung nun 1200 Soldaten im Gesundheitswesen einsetzen.

Das Gesundheitssystem in Großbritannien ist deutlich heruntergewirtschaftet, dies zeigt sich anhand der langen Wartezeiten auf Behandlungen oder Operationen. Mehr als sieben Millionen Menschen müssen aktuell mit Terminverschiebungen oder einem Ausfall ihrer Behandlungen rechnen. Ein stundenlanges Warten auf den Rettungsdienst ist in England aufgrund des anhaltenden Ausnahmezustandes nicht zu vermeiden.

Pflegegewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) – Generalsekretärin Pat Cullen betont, die Einforderung einer Besserung der Lage des britischen Gesundheitswesens sei nichts, was warten könnte. „Heute streiken wir für Fairness. Wir streiken für die Zukunft unseres NHS. Wir streiken, weil es unser Recht – und unsere Pflicht – ist, für eine gerechte Bezahlung und für die Sicherheit der Patienten einzutreten”, betonte Cullen.

Quellenangaben

https://www.bibliomed-pflege.de/news/hunderttausende-pflegende-streiken https://www.tagesschau.de/ausland/europa/streiks-grossbritannien-gesundheitswesen-101.html

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/grossbritannien-gesundheitssystem-nhs-100.html

Das deutsche Gesundheitssystem: Herausforderungen und Defizite

Eine hohe Belastung durch Corona-Patienten auf den Intensivstationen und zusätzlich andere Patienten, die Hilfe und Behandlungen benötigen – das Gesundheitssystem steht täglich vor großen Herausforderungen. Zweifellos wird unser Gesundheitssystem in der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie stark belastet und zeigt uns dadurch auch einige Defizite auf. Jedoch gab es auch schon vor der aktuellen Situation Probleme und Kritik an unserem Gesundheitswesen.

Generell wird unser Gesundheitssystem einerseits über die gesetzliche und private Krankenversicherung finanziert. Grundsätzlich ist seit der Einführung der Versicherungspflicht jeder in Deutschland lebende Bürger dazu verpflichtet, eine gesetzliche oder private Krankenversicherung abzuschließen. In welcher Krankenkasse Arbeitnehmer*innen versichert sind, ist abhängig von ihrem jeweiligen Einkommen: Wenn das Einkommen eine bestimmte Grenze überschreitet (2021 lag sie bei 5.362,50 Euro im Monat), kann man sich bei einer privaten Krankenversicherung anmelden. Jedoch sind einige Berufsgruppen wie zum Beispiel Beamte oder Selbstständige auch dann von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreit, wenn ihr Einkommen unterhalb dieser Einkommensgrenze liegt. Doch es gibt einige Kritikpunkte an diesem System.

Zum einen basiert die Krankenversicherung innerhalb der deutschen Sozialversicherung, zu der beispielsweise auch die Arbeitslosenversicherung zählt, auf dem Solidaritätsprinzip.
Konkret bedeutet das also, dass das deutsche Gesundheitssystem durch die Solidargemeinschaft finanziert wird und somit alle gesetzlich Versicherten gemeinsam die Kosten der Behandlungen der einzelnen Mitglieder tragen. Jedoch beteiligen sich Privatversicherte trotz ihres höheren Durchschnittseinkommens nicht am Solidarausgleich, da sie nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen. Zum anderem wird kritisiert, dass es aufgrund dieser zwei Versicherungssysteme eine Zweiklassenmedizin in Deutschland gibt. Denn privatversicherte Patienten haben Privilegien und bekommen bessere Leistungen als gesetzlich Versicherte. Beispielsweise erhalten Privatversicherte meist schneller einen Termin bei Fachärzten und profitieren von kürzeren Wartezeiten sowie Chefarztbehandlung und einem Einbettzimmer in Krankenhäusern. Das liegt vor allem daran, dass die Honorare für privatärztliche Leistungen höher sind – also verdienen Ärzte durch Privatpatienten mehr.

Die Behandlungen in Krankenhäusern werden mit dem sogenannten Fallpauschalen-System abgerechnet, das jedoch auch einige Nachteile hat. Allgemein bezeichnet eine Fallpauschale die Vergütung pro Behandlungsfall, die jedes Jahr gemeinsam vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV), dem Verband der privaten Krankenversicherung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft in einem Fallpauschalen-Katalog festgelegt wird. Die einzelnen Patienten werden je nach Diagnose und Behandlung einer Fallgruppe zugeordnet, für die die Kliniken immer den gleichen festgelegten Betrag von den Krankenkassen abrechnen. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, welche zusätzlichen medizinischen Leistungen erforderlich sind, wenn es beispielsweise zu Komplikationen kommt oder ein Patient länger stationär behandelt werden muss.
Abgesehen davon, dass diese Art der Abrechnung mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist, setzt sie falsche wirtschaftliche Anreize für Kliniken. Da die Fallpauschalen nicht alle Kosten abdecken, versucht man möglichst viele Fälle abzurechnen, also möglichst viele Patienten zu behandeln, um Finanzlücken zu schließen. Während Krankenhäuser einerseits durch das Fallpauschalen-System finanziert werden, sind die Bundesländer dazu verpflichtet, die Investitionskosten von beispielsweise moderneren Geräten und Neubauten von Kliniken zu übernehmen. Jedoch sind die Länder in den letzten Jahren ihrer Verpflichtung der Finanzierung von Investitionen nicht ausreichend nachgekommen, obwohl die Betriebskosten von Krankenhäusern allgemein gestiegen sind.

Ein weiteres Defizit neben der Kritik an den Versicherungs- und Abrechnungssystemen ist der Personal- und Fachkräftemangel, der durch die Corona Pandemie zusätzlich verstärkt und verdeutlicht wurde. Zum einen besteht das Problem, dass zwar viele Intensivbetten für beispielsweise Corona-Patienten verfügbar sind, jedoch nicht betrieben werden können, da das nötige Personal fehlt. Dies erschwert zusätzlich die Situation und Arbeitsbedingungen der derzeit im Gesundheitswesen Beschäftigten: zahlreiche Überstunden, hohe psychische und körperliche Belastungen für wenig Anerkennung und Gehalt.

Abschließend ist jedoch anzumerken, dass es laufend Bemühungen und Reformen gibt, die Probleme und Defizite unseres Gesundheitssystems zu beheben und es zu verbessern. Schließlich sollte man sich bewusst sein, was das Gesundheitspersonal vor allem während der derzeitigen Pandemie tagtäglich leistet.

Quellen:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/200629_BMG_Das_deutsche_Gesundheitssystem_DE.pdf
https://www.focus.de/gesundheit/system-steht-vor-dem-kollaps-fallpauschale-und-intensivbetten-chaos-gesundheitsreform-dringend-benoetigt_id_13240994.html
https://www.bpb.de/apuz/270312/baustelle-gesundheitssystem-aktuelle-herausforderungen-in-der-gesundheitspolitik-essay?p=all
https://www.versicherungen-online.de/pkv/ratgeber/einkommen/
https://www.krankenversicherung.net/gesetzliche-private-krankenversicherung
https://www.vdek.com/vertragspartner/Krankenhaeuser/krankenhausfinanzierung.html
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/krankenhaeuser-finanzierung-105.html
https://www.tagesspiegel.de/politik/recherchen-von-ard-kontraste-zu-fallpauschalen-schwerkranke-kinder-koennten-wegen-personalmangels-sterben/25226472.html
https://www.deutschlandfunk.de/deutsches-gesundheitssystem-die-misere-der-krankenhaus-100.html
https://www.deutschlandfunk.de/deutsches-gesundheitssystem-die-misere-der-krankenhaus-100.html

Abtreibungen – und warum jüngere Paare in Deutschland weniger Kinder bekommen

ein Kommentar

In den letzten Wochen entflammte die Diskussion um die beiden Paragrafen §218 und §219 StGB in Deutschland zum wiederholten Male. Sie regeln auch ein sehr umstrittenes Thema, nämlich die Bedingungen, unter denen eine Abtreibung hierzulande legal durchgeführt werden kann. Nach einem Beratungsgespräch, drei vollen Tagen verordneter Warte- und Bedenkzeit zwischen Beratung und Eingriff sowie einer Fristenregelung darf die Abtreibung erfolgen. Nur in den ersten zwölf Wochen nach der Empfängnis darf abgetrieben werden, bis zur zwanzigsten Woche mit entsprechender medizinischer Dringlichkeit, beispielsweise wenn die Schwangerschaft die körperliche oder geistige Gesundheit der werdenden Mutter gefährden könnte.

Die Person, die die sogenannt „Schwangerschaftskonfliktberatung“ durchführt, ist gesetzlich dazu verpflichtet, für das ungeborene Leben zu sprechen. Jedoch darf die Frau nicht dazu gedrängt werden, ihre Entscheidung zu ändern. Das Gespräch soll also ergebnisoffen sein, allerdings muss aktiv dazu ermutigt werden, das Kind zu behalten. Geht das überhaupt? Und was sind die Probleme der Betroffenen in und nach diesen Beratungen?

Bedenken vieler Paare bezüglich einer Entlastung bei Krankheit, Bedenken wegen mangelnder finanzieller Möglichkeiten oder Ängste im Hinblick auf mögliche Behinderungen, die auftreten können – wenn das Kind beispielsweise ungeplant entstanden ist und man die letzten Wochen Alkohol konsumiert hat – wurden in vielen Fällen umgangen, oft wurde lieber über Nebenwirkungen des Abtreibungsprozesses an sich gesprochen, die natürlich nicht ungefährlich sind. Das kann jedoch auch daran liegen, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht zur gynäkologischen Facharztausbildung gehören und (wenn überhaupt) nur theoretisches Wissen vermittelt wird. Gynäkolog*innen sind auf die Hilfe anderer Fachärzte angewiesen oder bringen sich den Eingriff einfach selbst bei, wobei geschätzt wird, dass man ihn etwa 100 bis 200 mal durchführen muss, bis man ihn richtig beherrscht. Es gibt auch noch eine lange rechtliche Check-List, die abgearbeitet sein muss, bevor man seine erste Patientin begrüßen darf. So haben in der Millionenstadt München gerade einmal 50 Ärztinnen und Ärzte die Erlaubnis, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Ob sie alle die Erlaubnis auch wahrnehmen, steht auf einem anderen Blatt. Folglich gibt es hin und wieder lange Wartezeiten für Termine. Und die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit Erlaubnis sinkt stetig.
Auch liest man in Foren oft, dass manche das Beratungsgespräch nicht wirklich schlauer gemacht hat – Alternativen wie Pflegefamilien oder Adoption zeigen nicht alle Berater*innen auf, für manche gilt es schon als Entschluss zur Abtreibung, wenn man beim Beratungsgespräch erscheint – sehr kontraproduktiv für alle, die noch unsicher und uninformiert sind und auf eine neutrale Entscheidungshilfe hoffen.
Zudem werden viele Frauen dazu gedrängt, sich schnell zu entscheiden – dabei sind die Frauen, die länger über den Eingriff nachdenken können, mit ihrer Entscheidung meist zufriedener.

Sehr zynisch wirkt das Ganze, wenn man schaut, was einen in Deutschland alles entmutigen kann, ein Kind zur Welt zu bringen, denn das Kinderkriegen in Deutschland wird Jahr für Jahr unattraktiver: Es gibt nie genug Kindergartenplätze für alle Kinder, die einen bräuchten, von Kitaplätzen mal ganz zu schweigen. Deshalb sind in den ersten Jahren nach der Geburt viele Frauen gezwungen, ihren Vollzeitjob aufzugeben, zumindest bis die Kinder in der Schule sind.
Die einkommensärmeren Jahre, in denen eine Frau sich um die Kindererziehung kümmert, bekommt sie auch im Nachhinein nicht ansatzweise ausreichend vergütet – es ist immerhin ein harter 24-Stunden-Job für 7 Tage die Woche. Die CDU weigerte sich die letzten Jahre ja sogar vehement, die Mütterrente anzugleichen.
Unsere neue Regierung benennt Hartz IV lieber um, als es zu reformieren, um lebenswerte Bedingungen zu schaffen, unter denen man Kindern auch eine gute Zukunft bieten kann. Die Wahrscheinlichkeit, arm zu bleiben, ist seit Ende der 80er-Jahre von 40% auf 70% angestiegen. Es fehlt an Essen und Platz – jedes fünfte Kind in dem reichen Industrieland Deutschland wächst in Armut auf.

Und auch gesellschaftliche Vorurteile halten sich wacker: Die klare Mehrheit der Menschen in Deutschland ist der Meinung, dass sich Familienplanung und Beruf nicht gut vereinen lassen. Entsprechend hält sich das Stigma der „Rabenmutter“ noch immer: In Westdeutschland glauben 63% der Menschen, dass die Berufstätigkeit der Mutter mit einer schlechteren Entwicklung des Kindes zu tun hat, im Osten nur 36%. Und das hat historische Gründe: In der DDR gab es für alle Kinder genug Krippen-, Kindergarten- und Schulplätze und die Betreuung dort war zudem kostenlos! Frauen wurden somit bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützt und konnten auch wieder berufstätig sein, wenn sie das mochten.

Wo sind wir so falsch abgebogen?

Unsere Gesellschaft überaltert, unser Rentensystem droht zusammenzubrechen und trotzdem fehlt es an allen Ecken und Enden an ausreichender Sicherheit und Unterstützung für werdende Eltern und ihre Kinder. Deutschland sollte sich an so manch anderen Ländern orientieren – dabei sieht und analysiert unsere Regierung bereits die Gründe für eine verhältnismäßig hohe Fertilitätsrate in Ländern wie Island, Norwegen oder Frankreich. Eine Erhöhung des Elterngeldes, eine Verlängerung der Elternzeit sowie weitere Erleichterungen für junge Familien scheinen gute Rahmenbedingungen zu etablieren. Es bleibt zu hoffen, dass unsere Regierung ihre Aufgabe ernst nimmt und beginnen kann, dem demografischen Wandel entgegenzuwirken.

Nachtrag (nach Abschluss des Artikels): Es gibt eine Neuerung zu Paragraf 219a:

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw08-de-schwangerschaftsabbruch-do-594758

Quellen:

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__218.html

https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__219.html

https://www.aerztezeitung.de/Politik/Pro-familia-mit-Aktionen-gegen-Paragraf-218-423161.html

https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/M/muetterrente.html

https://www.tagesschau.de/inland/cdu-und-csu-uneins-ueber-muetterrente-101.html

https://aerzte-fuer-das-leben.de/neues/aktuell-2020/04-03-20-101000-abtreibungen-zahl-der-schwangerschaftsabbrueche-2019-nahezu-unveraendert/

https://www.augsburger-allgemeine.de/themenwelten/leben-freizeit/Familie-Studie-Kinderkriegen-in-Deutschland-immer-unattraktiver-id23177436.html

https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47313/kitas-und-kindererziehung

https://www.profemina.org/de-de/abtreibung/wartezeit-auf-den-termin

https://www.spiegel.de/panorama/schwangerschaftkonfliktberatung-drei-frauen-erzaehlen-von-ihren-erfahrungen-a-00000000-0003-0001-0000-000002489600

https://www.swr.de/swr2/wissen/kinderarmut-in-deutschland-ungleiche-chancen-swr2-wissen-2021-05-18-100.html

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/abtreibungen-frauenarzt-ausbildung-1.4040406

Die unbezahlbare Generation

„Ja und dann müssen wir uns auch mal zusammensetzen, um über deine Rente zu reden…“

Das war einer der Sätze, der bei dem Gespräch zwischen mir und meinem Vater gefallen ist, als wir über meine Zukunftspläne und der Unabhängigkeit nach dem Abitur geredet haben. Logischerweise war ich etwas schockiert. Die Rente ist natürlich ein Thema, das immer wieder aufkommt und dessen ich mir auch bewusst bin, aber ich bin erst siebzehn. Mit der Rente muss ich mich doch jetzt noch nicht auseinandersetzen…oder?

Den meisten ist sicherlich das Konzept des Generationenvertrags bekannt, denn mit dieser Methode werden die Renten in Deutschland größtenteils gestemmt. Die jetzigen Generationen der Berufstätigen finanzieren die Rente der derzeitigen Senioren. Wer also jetzt arbeitet, bekommt seine eigene Rente dann später durch die nachfolgende Generation der Kinder und Enkelkinder finanziert. Eigentlich ein sehr soziales, gemeinschaftliches Konzept, wäre da nicht die Tatsache, dass dieses momentane System der Altersvorsorge kurz vor dem Kollaps steht. Gründe dafür gibt es viele, beispielsweise den demografische Wandel. In Deutschland gibt es zurzeit viel mehr Ältere als jüngere Menschen, was unter anderem sowohl mit der steigenden Lebenserwartung als auch mit den vergleichsweise niedrigen Geburten- und Zuwanderungszahlen zu tun hat. Das bedeutet wiederum, dass immer weniger Beitragszahler für einen Rentner aufkommen, was zu einer allmählichen Senkung des Rentenniveaus führt, das zurzeit nur noch bei rund 48 Prozent liegt.

Nehmen wir als Beispiel einen Arbeitnehmer, der über fünfundvierzig Jahre lang einer Arbeit nachgegangen ist und dessen letztmonatliches Gehalt 4000€ brutto beträgt. Dies stellt nach statistischen Auswertungen das Durchschnittsgehalt in Deutschland dar.

Davon bekommt er heute 48 % als Rente ausgezahlt. Das macht circa 1900€ brutto. Davon werden noch die Steuer, die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung abgezogen.

Das bedeutet, dass unser Durchschnittsverdiener ungefähr 1300€ Rente jeden Monat auf seinem Konto hat. Das ist nicht besonders viel, wenn man die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten in Deutschland sieht. Und nicht jeder in Deutschland ist Durchschnittsverdiener. Viele Menschen hier verdienen wesentlich weniger.

Geld scheffeln für die eigene Rente? So einfach funktioniert das nicht. Was vom eigenen Lohn in die Rentenkasse einbezahlt wird, erhält die aktuelle Rentnergeneration.

Ein Großteil der davon Betroffenen sind zudem Frauen, insbesondere Alleinerziehende. Auch wenn langsam Veränderungen erkennbar sind, so ist das typische Familienbild doch noch sehr traditionell geprägt: Die Frau soll sich um das Kind kümmern, weswegen viele Mütter in Teilzeit arbeiten, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Selbst wenn sich die Mutter entschließt, wieder vollzeitig arbeiten zu gehen, gibt es immer noch zu wenige Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder, die zusätzlich sehr teuer sind. Außerdem bekommen Frauen nach wie vor für den gleichen Job weniger Gehalt, also auch niedrigere Rente am Ende. Gerade alleinerziehende Frauen können aufgrund von Kindererziehung häufig weniger arbeiten, haben aber hohe Ausgaben wegen der Kinder. Viele sind dadurch von Altersarmut bedroht.

Eine aktuelle GfK-Studie, die im Auftrag von Generali Deutschland durchgeführt wurde, zeigt jetzt auch auf, was die jüngere Generation wirklich über das Thema Rente denkt. Mit beunruhigenden Ergebnissen: Die Mehrheit (ca. 70 %) der über eintausend 18-32-jährigen, die befragt wurden, finden, dass dem Thema Rente für die heranwachsenden Generationen zu wenig Beachtung geschenkt wird, vor allem in der Politik. Alleine bei den noch jungen Frauen befürchten 87 %, dass die gesetzliche Rente für sie nicht ausreichen wird. Zudem gaben über zwei Drittel der Befragten an, die Rentenpolitik der einzelnen Parteien würde ihre Entscheidung bei den Bundestagswahlen beeinflussen. Da können sich jetzt bestimmt viele freuen, denn für Olaf Scholz sieht die Aussicht auf das Kanzleramt ziemlich gut aus. „Jetzt stabile Renten wählen“ lautete nämlich eines der Wahlplakate der SPD, doch kann man es sich leisten, solche Versprechen zu geben? Handeln sollte man auf jeden Fall schnell, da sich scheinbar immer mehr junge Menschen von der Politik im Stich gelassen fühlen.

Wir sehen, der Staat wird uns in Zukunft keine vernünftige Rente zahlen können. Auch entgegen gut gemeinter Versprechungen und Aussagen. Vielmehr sind auch die jungen Menschen gefordert, privat in ihre Altersvorsorge zu investieren. Die Frage bleibt nur, wovon – im sich abzeichnenden Niedriglohnland Deutschland.

Die verschiedenen Auswertungen der Generali-Studie zum Nachlesen:

https://www.generali.de/gefaehrdete-generation/

Wie die einzelnen Parteien zu dem Thema Rente stehen:

https://www.tagesschau.de/inland/btw21/programmvergleich-rente-107.html