ein Kommentar

Seit 2001 herrscht die neueste Phase des Konflikts in Afghanistan, die von der Intervention des Westens, namentlich den USA und seinen Verbündeten, geprägt ist. Eine Wendung in dem Konflikt ist der durchgeführte Abzug der westlichen Truppen. Der Westen macht sich aus dem Staub und hinterlässt einen noch kaputteren Staat, als den, in dem er 2001 intervenierte. Die Tragödie Afghanistan ist im Grunde eine Chronik des Scheiterns des Westens, mit schlimmen Folgen.
Nach dem Sturz der Taliban-Regierung in Afghanistan im Jahr 2001 durch Truppen des Westens sah es so aus als wäre der Konflikt zu Ende. Der Westen ernannte einen neuen Präsidenten namens Hamid Karzai. Karzai, ein erbitterter Gegner der Taliban und Unterstützer des Westens transformierte Afghanistan in kurzer Zeit zu einem der korruptesten Länder der Welt und etablierte ein System der Vetternwirtschaft. Die Korruption hatte schwerwiegende Folgen für Afghanistan, denn so kam von den vielen Milliarden Euro an Hilfsgeldern nur ein Bruchteil dem Land und seiner Bevölkerung zugute. Das Meiste versickerte in den Taschen von korrupten Politikern, was den Westen, der Afghanistan Menschenrechte und Demokratie versprach, nicht gut aussehen ließ.
Die versprochene, aber nicht eintretende Verbesserung der Lebensbedingungen, gerade auf dem Land, sowie die Offensichtlichkeit, dass es sich bei der afghanischen Regierung um eine „Marionettenregierung“ des Westens handelte, in Kombination mit der Kooperation der westlichen Länder mit afghanischen Warlords, die in der Vergangenheit durch Kriegsverbrechen auffielen (beispielsweise Abdul Dostum), ließ die Stimmung der afghanischen Landbevölkerung umschwenken, was sich die Taliban durch Propaganda und „Volksnähe“ zunutze machten. Immer mehr Afghanen begannen die ausländischen Soldaten als Invasoren anzusehen und die Taliban wurden stärker. Hinzu kam, dass sich der Westen mit Warlords zusammentat und in hohe Machtpositionen setzte, die den Afghanen durch Kriegsverbrechen und Korruption bekannt waren. Diese Entscheidungen ließen das Projekt Afghanistan scheitern, bevor es überhaupt in Gang kam.
Außerdem ist Afghanistan einer der größten Drogenproduzenten der Welt. Ein nicht unerheblicher Teil der afghanischen Landbevölkerung lebt vom Anbau von Mohn oder Opiaten. Die Antidrogenpolitik des Westens nahm den Menschen ihre Existenzgrundlage und ließ viele auf die Seite der Taliban wechseln. Doch trotz all dieser Punkte gab es stets auch noch viel Unterstützung für die „Ausländer“, denn die Taliban waren vielerorts aufgrund ihrer Brutalität verhasst. Hinzu kommt, dass die Luftschläge des Westens nicht selten zivile Ziele trafen beziehungsweise zivile Opfer miteinkalkuliert wurden. Der Erfolgszug der Taliban auf dem Land ist also nicht nur ein Produkt der Ideologien oder des in den ländlichen Regionen oftmals vorherrschenden fundamentalen Islam, sondern auch den Existenzängsten von Teilen der afghanischen Landbevölkerung geschuldet, die auf den Anbau von Opiaten angewiesen ist.
Das Debakel in Afghanistan offenbart erneut, nach der Besetzung des Iraks bis ins Jahr 2011, dass die Koalition aus den USA, Australien und einem Großteil der europäischen Staaten nicht in der Lage ist, die Regionen, in denen sie operiert, zu befrieden in der Lage sind. Es ist ein Rückschlag, der die geopolitische Karte im Nahen und Mittleren Osten verändern wird, mit unabsehbaren Folgen.
Quellen:
Ulbricht Tilgner, 2020, Krieg im Orient: Das Scheitern des Westens, Rowohlt Verlag GmbH
Michael Lüders, 2015, Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet, C.H.Beck